Die Tennisspielerin Claudia Kohde-Kilsch (60) gewann im Doppel 1987 Wimbledon, 1985 die US Open sowie 1988 in Seoul zusammen mit Steffi Graf Olympia-Bronze. Im Einzel siegte sie bei sechs internationalen Turnieren und war 1985 Vierte der Weltrangliste. Heute arbeitet sie als Bundestrainerin für den Nachwuchs und engagiert sich unter anderem als Botschafterin für die Saarländische Krebsgesellschaft und die Kinderhilfe Organtransplantation e.V. (KiO).
Ihre Schwägerin Marina Kielmann (56) gewann zwischen 1990 und 1993 vier Medaillen bei Europameisterschaften im Eiskunstlauf und nahm an zwei Olympischen Winterspielen teil. Sie arbeitet heute als Eiskunstlauftrainerin und vereint ihre Ausbildungen als Mentaltrainerin und Ernährungsberaterin in einem ganzheitlichen Coaching. Ihr soziales Engagement umfasst unter anderem Rollen als Botschafterin für Special Olympics Deutschland und KiO sowie die Moderation der „Tour der Hoffnung“, einer jährlichen Spendenradtour zugunsten krebskranker Kinder und Jugendlicher.
In Kürze stehen Fußball-EM und Olympische Spiele an. Solche Großereignisse werfen Fragen des Umweltschutzes auf. Denkt man nach der aktiven Zeit im Sport anders darüber?
MARINA KIELMANN Junge Sportlerinnen und Sportler haben für kritische Themen oft keinen Kopf. Ihr Auftrag ist es, Sport zu machen. Darin wollen sie gut sein, darin wollen sie es so weit wie möglich bringen. Das Bewusstsein für die Dinge drumherum wächst erst hinterher. Natürlich war mir schon im Jugendalter klar, dass dieses Eis, auf dem ich laufe, irgendwie gekühlt werden muss. Doch wie das passiert, hat mich als Sportlerin nicht interessiert. Das hätte Zeit gekostet, die ich besser aufs Training verwendet habe. Heute ist mir klar, dass es andere Kühlmittel als toxisches Ammoniak gibt. Schaue ich mir als ältere Erwachsene die Dinge aus verschiedenen Positionen an, sehe ich, wo der Dreck liegt.
CLAUDIA KOHDE-KILSCH Ja, mit etwas Abstand zur Laufbahn beginnt man, Dinge aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Mir ist in diesem Zusammenhang das Thema Barrierefreiheit wichtig. Da liegen wir mit Deutschland im Medaillenspiegel weit hinten. Ich war zum Beispiel mit der Nationalmannschaft im Rollstuhltennis in Portugal. Dort habe ich alles barrierefrei erlebt, ob den Eingang ins Restaurant oder die Tennisanlage an sich. Bei uns ist die Behindertenrechtskonvention oft nicht berücksichtigt. Es kann doch nicht sein, dass eine Sportanlage neu gebaut wird und nicht barrierefrei ist. Oder dass ein Rollstuhlfahrer im Turnierhotel nicht ins Bad kommt, weil die Türöffnung zu schmal ist.
KIELMANN Ich habe bei den Special Olympics für Menschen mit einer geistigen Behinderung erlebt, wie grundlegende Dinge nicht berücksichtigt werden. Und es kommt hier durchaus aufs Detail an: zum Beispiel, wenn die Stange beim Pendellauf plötzlich eine andere Farbe hat und die Läuferin sich weigert, loszulaufen, weil sie nur die rote Stange kennt, nicht die blaue. Inklusion bedeutet, auch über solche vermeintlichen Kleinigkeiten zu sprechen, so dass es für alle passt.
Ihr soziales Engagement wirkt sehr umfassend. Sind dem Sport nachgesagte Werte wie Teamgeist dafür mit auslösend gewesen?
KOHDE-KILSCH Man nimmt ins spätere Leben mit, was man im Sport mitbekommen hat: Teamgeist, aber genauso Einsatzbereitschaft, Kampfgeist, nicht aufgeben …
KIELMANN … Fehler vermeiden, schnell arbeiten, lösungsorientiert sein …
KOHDE-KILSCH … auch tolerant zu sein. Unter Sportlern gibt es keinen Hass auf Ausländer. Ich habe immer mit Spielerinnen aus anderen Nationen erfolgreich Doppel gespielt. Eine Wertevermittlung bekommt man im Sport von Kindesbeinen an mit. Daraus erwächst der eigene Charakter. Im Sport habe ich gelernt, für andere da zu sein. Ich habe mir einen Namen erarbeitet, den möchte ich nutzen, um anderen zu helfen, so gut ich kann. Das bedeutet mir in meinem Leben heute sehr viel.
KIELMANN Auch Pünktlichkeit, lösungsorientiertes Arbeiten oder Respekt anderen gegenüber – im Sport sind das wichtige Werte, die ich heute als Trainerin weitergeben möchte. Das ist meine pädagogische Verantwortung. Im Sport gibt es Regeln, an die sich jeder halten muss. Im Leben sollte das auch so sein.
Für welche Organisationen engagieren Sie sich?
KOHDE-KILSCH Wir sind beide Botschafterinnen der Kinderhilfe Organtransplantation, kurz KiO. Das ist ein mildtätiger gemeinnütziger Verein, der Familien unterstützt, deren Kinder auf eine Organtransplantation angewiesen sind. Denn das bringt emotionale, aber oft auch soziale Not mit sich. Dieses Engagement schließt mit ein, dass wir uns für die lebensrettende Idee der Organspende engagieren, wie viele andere bekannte deutsche Sportlerinnen und Sportler. Als KiO-Botschafterin unterstütze ich viele kleine Hilfsprojekte. Ob das nun das Mitspielen bei einem Charity-Golfturnier ist oder die Präsenz bei einer „Space-Party“ von jungen, engagierten Leuten. Das ist dann ein Tag, den ich gerne für die gute Sache einbringe. Ich bin auch Botschafterin der Saarländischen Krebsgesellschaft. Außerdem bin ich viele Jahre aktiv bei der „Tour der Hoffnung“ mitgefahren. Dabei besuchen prominente Sportlerinnen und Sportler auf einer Radtour Unternehmen und werben so um Spenden für krebskranke Kinder. Marina engagiert sich ebenfalls dafür.
KIELMANN Ja, ich bin jetzt seit 1997 bei der jährlichen „Tour der Hoffnung“ dabei. Ich kam zu der Zeit gerade von Holiday on Ice zurück, war noch top trainiert. Zwar fiel mir das Radfahren zu Beginn schwer, aber zugunsten krebskranker Kinder kann man sich überwinden. Bis 2011 bin ich auf dem Rad mitgefahren, habe dann gemerkt, dass mir die Zeit zum notwendigen Training fehlt. Ich wollte mich gerne auf andere Weise einbringen. Damals suchte man eine neue Moderatorin für die Tour und traute mir das offenbar zu. Ich bin dann tatsächlich schnell hineingewachsen. Gleich beim ersten Mal, im Jahr 2012, begegnete ich auf der Bühne Hans Wilhelm Gäb, dem früheren Opel-Aufsichtsratsvorsitzenden, der die Kinderhilfe Organtransplantation gegründet hat. Schnell kamen wir auf den Organspendeausweis zu sprechen, und die Frage stand bei offenem Mikro schnell im Raum: „Hast du einen, wie stehst du dazu?“ Hm … ganz ehrlich: Ich hatte mich bis dahin noch nie damit auseinandergesetzt. Ich versprach ihm fürs kommende Jahr an gleicher Stelle eine Antwort. Zuvor stand ich vor einer Hemmschwelle, mich mit meinem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Mittlerweile weiß ich: Es ist so einfach, die richtige Entscheidung zu treffen, im Falle meines Ablebens gegebenenfalls Organspenderin zu sein und auf diese Weise noch etwas Gutes zu tun.
Wie funktioniert die Tour der Hoffnung?
KIELMANN Sie hat sich zu einem der bedeutendsten Charity-Events in Deutschland entwickelt. Im Jahr 2023 kamen mehr als 1,2 Millionen Euro an Spenden zusammen. Die Gelder werden an Einrichtungen und Projekte wie Kinderkliniken, Hospize und Forschungsstellen weitergeleitet, die sich um die Betreuung und Behandlung krebskranker Kinder und Jugendlicher kümmern. Die mehrtägige Radtour an sich ist die Schnittstelle zwischen den spendenden Unternehmen und den Sportlerinnen und Sportlern. Wir fahren von Firma zu Firma. Schon als aktive Radfahrerin führte ich so Gespräche mit der Unternehmensleitung der Lufthansa und mit den Vorstandsvorsitzenden anderer großer Konzerne. Ohne jegliche Berührungsängste. Man spricht auf Augenhöhe, weil man sich gemeinsam für den guten Zweck einsetzt. Das hat mir gezeigt, wie wichtig die persönliche Begegnung ist. Sie macht es leichter, sich zu engagieren. Auch als Botschafterin für organtransplantierte Kinder lerne ich heute viele Menschen in bedeutenden Funktionen bei Unternehmen kennen, die das Herz am rechten Fleck haben. Sie alle haben im Leben etwas erreicht, und alle wissen: Kann ich etwas zurückgeben, gibt mir das neben der geleisteten Hilfe auch ein gutes Gefühl.
KOHDE-KILSCH Letzten Endes motivieren wir andere Menschen, sich mit einem schwierigen Thema auseinanderzusetzen. Auch ich hatte zu Beginn eine Hemmschwelle. Dann habe ich mich mit Organspende und -transplantation beschäftigt. Es ging mir genauso wie Marina. Wichtig sind mir noch zwei Dinge. Setze ich mich für etwas ein, muss das von Herzen kommen. Und ich möchte die Menschen kennen, für deren gute Sache ich mich engagiere. So kann ich einschätzen, was mit gesammelten Geldern passiert.
KIELMANN Das ist ein wichtiger Punkt. Bevor ich zugesagt habe, mich bei KiO zu engagieren, bin ich mit zu einer der erlebnispädagogischen Familienfreizeiten gefahren. Ich wollte selbst erleben, was da unterstützt wird. Es waren zwei emotional sehr bewegende Tage für mich.
KOHDE-KILSCH Bei der Saarländischen Krebsgesellschaft gibt es das Projekt „Regenbogen“ für die Kinder krebskranker Eltern. Auch ein Thema, das in der Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit erfährt. Wenn Eltern nicht mehr lange zu leben haben, muss dafür gesorgt werden, dass die Kinder umsorgt und abgelenkt werden. Wir haben zum Beispiel vor Weihnachten zusammen Plätzchen gebacken. Durch dieses nahe Erleben erkennt man den Wert der Hilfsarbeit.
Was nehmen Sie aus solchem Engagement für sich selbst mit?
KIELMANN Man wird geerdet. Ich weiß jetzt auch: Wenn es mal bei mir nicht so laufen sollte, darf ich ruhig zeigen, dass ich Hilfe benötige. Es ist ein großes Zeichen von Stärke, sich Hilfe zu holen und sie zuzulassen.
KOHDE-KILSCH Erlebe ich hautnah diese schlimmen Probleme rund um krebskranke oder organtransplantierte Kinder, bringt mich das schlagartig auf den Boden zurück. Eigene Problemchen werden noch kleiner. Ich habe mal eine 14-jährige Knochenkrebspatientin besucht, die zwei Wochen danach gestorben ist. Später erhielt ich eine Mail von ihrer Schwester, die sich für meinen Besuch bedankte. Solche Erlebnisse verändern mich als Mensch. Dieses Erlebnis hat mir aber auch gezeigt, wie viel Mut ich haben kann. Der gehört dazu, sich an das Bett eines todkranken Kindes zu setzen. Auch das sind Eigenschaften, die wir im Sport mitbekommen haben: Mut und Empathie.
KIELMANN Zu mir hat mal jemand gesagt: Wenn Sie von der „Tour der Hoffnung“ zurückkommen, sind Sie noch entspannter als sonst. Das sagt eigentlich alles.
Die Fragen stellten Oliver Kauer-Berk und Gabriele Kalt.




